Musizieren im Alter – Ein Verjüngungsmittel?

Die Faserbündel des Gehirns

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: Wir leben in einer alternden Gesellschaft und dadurch gibt es immer mehr Menschen die selber eine Demenz entwickeln oder eine nahestehende Person mit dieser Erkrankung haben. Die gute Nachricht: Vielleicht gibt es eine Möglichkeit die persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen zu reduzieren. 

Aber fangen wir von vorne an. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen, wird im Jahr 2050 jeder vierte Mensch in Europa und Nordamerika älter als 65 Jahre sein. Zudem wird es weltweit erstmals mehr Menschen über 65 Jahren geben, als unter 18. Daher wird es immer wichtiger Maßnahmen zu finden, die ein gesundes Altern ermöglichen.  Um diese Problematik in den Vordergrund zu stellen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Jahre 2021-2030 zum Jahrzehnt des gesunden Alterns erklärt. Ein wichtiges Ziel sei es dabei die intrinsischen Kapazitäten eines Menschen zu stärken. Dazu gehören körperliche Bewegung, Sehen, Hören, Vitalität, kognitive Fähigkeiten (z.B. Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Problemlösung), sowie psychisches Wohlbefinden. Einige dieser Faktoren wie Hörminderung, kognitiver Abbau, aber auch Hirnatrophie kommen mit dem Alter ganz natürlich, aber in welchem Ausmaß diese auftreten ist sehr individuell und häufig den Lebensumständen geschuldet. Wie genau man sich verhalten soll, um ein langes und gesundes Leben zu führen wird häufig sehr einfach dargestellt: Gesund essen, Sport treiben und abends am besten noch Kreuzworträtsel oder Sudoku lösen. Aber ist es wirklich so einfach? Und was, wenn man diese Sachen bis ins Rentenalter vielleicht nicht getan hat? Ist es dann schon zu spät? 

Lange Zeit wurde tatsächlich angenommen, dass bestimmte abgebaute Prozesse nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Forschung zur Neuroplastizität der letzten Jahre gibt jedoch Hoffnung, dass es nicht ganz so schlecht aussieht wie zunächst gedacht. 

Neuroplastizität ist ein Begriff, der benutzt wird, um die Fähigkeit des Gehirns zu beschreiben, seine Funktion und Struktur als Reaktion auf das Erlernen von neuen Fähigkeiten anzupassen. Klingt erstmal kompliziert. Im Prinzip sagt es aber nur aus, dass sich das Gehirn ständig neuen Herausforderungen anpasst, egal ob im Kindesalter oder auch im Rentenalter. Diese Anpassungen können sowohl kurzfristig als auch langfristig sein und obwohl sie im Kindesalter sehr viel ausgeprägter sind als im späteren Leben, sind sie dennoch möglich. Während sich anfängliche Forschung auf Tierversuche konzentrierte, um die Grundlagen dieser Veränderungen zu verstehen, ist es heutzutage mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) möglich, Neuroplastizität auch über einen längeren Zeitraum im Menschen zu untersuchen. Das MRT ermöglicht es nicht-invasiv und ohne Strahlung (die beim Röntgen und der Computertomographie benötigt wird), durch ein starkes Magnetfeld und Radiowellen das Gehirn darzustellen. Dabei werden die verschiedenen Gewebe (z.B. Nervenfasern, Nervenzellen, Blut und Liquor) in unterschiedlichen Graustufen dargestellt und das Gehirn in kleine Einheiten geteilt, die dann einzeln untersucht werden können. 

Aufgrund ihrer Komplexität ist das Musizieren ein beliebtes Instrument, um erfahrungsbedingte Neuroplastizität zu untersuchen. Denn es gibt wenige spezifische Aufgaben die so lange und minutiös trainiert werden wie ein Instrument von professionellen Musiker. Das Spielen eines Instrumentes ist eine anspruchsvolle multimodale Aufgabe, bei der viele verschiedene Hirnregionen beteiligt sind, darunter auditive und motorische Regionen, die in ständigem Austausch miteinander stehen. Aber auch weitere kognitive Funktionen werden beim Musizieren trainiert. Zu diesen gehören unter anderem die Verarbeitungsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeitsprozesse und das Gedächtnis. Dies sind Funktionen, die mit dem Alter abnehmen. Aus diesem Grund scheint das Musizieren eine ideale Tätigkeit zu sein um ein gesundes Altern zu fördern.

Genau dies untersuchen nun Forscher*innen aus Hannover und Genf in der größten und längsten Studie bis dato. In über 150 älteren Menschen erforschen sie, wie sich das Erlernen von Klavierspielen im Alter auf kognitive Fähigkeiten, Lebensqualität und auf die Struktur und Vernetzung des Gehirns auswirken. Dafür wurden die 62-78-jährigen Proband*innen in eine von zwei Gruppen eingeteilt: Entweder sie erhielten ein Jahr lang Klavierunterricht, oder sie nahmen an Unterrichtsstunden zu “Musik erleben und verstehen” teil. Hier ging es darum, Spaß an der Musik zu entwickeln, ohne sie selber auszuüben.  Voraussetzung für die Teilnahme an der Studie war es, dass die Teilnehmer*innen in ihrem Leben nicht mehr als 6 Monate ein Instrument erlernt oder im Chor gesungen haben. Die Teilnehmer*innen wurden von dem Forscherteam intensiv begleitet und vor, während und nach der Studie auf ihre kognitiven, perzeptuellen, emotionalen und manuellen Fähigkeiten getestet. Dabei ging es nicht nur um ihre Aufmerksamkeitsspanne und Gedächtnisleistung, sondern auch um Fingerfertigkeit und musikalische Wahrnehmung. Zudem wurden umfangreiche MRT Untersuchungen gemacht. 

Erste Ergebnisse zu Veränderungen der Gehirnstruktur wurden vor kurzem veröffentlicht. Es wurde untersucht, wie sich die Struktur von Faserbündeln im Gehirn über die ersten 6 Monate des Lernens entwickelte. Über die Faserbündel, die aus einzelnen Nervenfasern bestehen, werden im Gehirn Informationen zwischen Gehirnregionen ausgetauscht. Die Untersuchungen ergaben, dass sich die Mikrostruktur des Fornix, ein Faserbündel der vor allem mit Erinnerungsprozessen in Verbindung gebracht wird, in der Klaviergruppe über das halbe Jahr nicht veränderte, während sie in der Kontrollgruppe abnahm. Diese Abnahme ist ein häufiger Befund, wenn es um die natürlichen Alterungsprozesse der Gehirnstruktur geht. Zusätzlich konnte die Veränderung im Fornix mit Verbesserungen im Langzeitgedächtnis in Verbindung gebracht werden. Das Erlernen von Klavierspielen im Alter scheint also eine vielversprechende Aktivität zur Stabilisierung der Mikrostruktur des Fornix und der Gedächtnisleistung zu sein. Interessanterweise wurde ein ähnlicher Effekt zuvor auch schon in einer Studie zu den Effekten von Tanzen bei älteren Proband*innen festgestellt. Klavierspielen und Tanzen teilen viele positive Eigenschaften. Sie machen Spaß, was die Motivation weiterzumachen steigert, sie werden aber auch zunehmend schwieriger, wodurch es ein dauerhaftes Lernen gibt und so das Gehirn optimal beansprucht wird. Zusätzliche Studien sind jedoch nötig, um zu entscheiden, ob dieser Effekt auch bei längerem Training aufrechterhalten werden kann.

Die Degeneration des Fornix wird ebenfalls mit der Alzheimer-Erkrankung, die häufigste Form der Demenz in Verbindung gebracht. Da es noch kein Heilmittel hierfür gibt und Medikamente nur begrenzte Wirkung zeigen, werden alternative Methoden immer interessanter, um die kognitiven Fähigkeiten von Erkrankten so lange wie möglich zu erhalten und den Abbau von Hirnstrukturen zu verlangsamen. Die hier gezeigten Ergebnisse geben Hoffnung, dass das Erlernen eines Musikinstrumentes eine solche Methode sein könnte. 

Mit Spannung zu erwarten sind auch Ergebnisse einer Studie die gerade an der Universität Bergen (Norwegen) läuft. Hier verfolgen die Forscher*innen einen anderen Ansatz. Die Proband*innen erhalten gemeinsamen Chorunterricht, sowie individuell angepasste Musiktherapie von geschulten Musiktherapeuten. 

Die Forschung zu musizieren im Alter und zur Bekämpfung von altersbedingter Degeneration läuft also auf Hochtouren. Es bleibt abzuwarten, wie weit die Forschung in den nächsten Jahren noch kommt und ob wir am Ende des Jahrzehnts des gesunden Alterns noch mehr Erfolge feiern können. Aber erste Studien zeigen bereits vielversprechende Ergebnisse, und auch wenn ein halbes Jahr kein Wundermittel zur Verjüngung zu sein scheint, so ist auch ein Aufhalten oder Verlangsamen von Alterungsprozessen ein großartiger Erfolg der nicht zu unterschätzen sein sollte. 

Kristin Jünemann

Doktorandin an der Medizinischen Hochschule Hannover

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