Was wir von Experimenten zu gendersensibler Sprache lernen können

Professoren und Professorinnen, Professor*innen oder Professx – es gibt zahlreiche Möglichkeiten sich gendersensibel auszudrücken. Aber warum sollten wir überhaupt genderbewusst schreiben und sprechen? Die Experimentalpsychologie kann bei der Beantwortung dieser Frage helfen.

 

Stellen Sie sich vor, Sie würden Ihre 7-jährige Tochter fragen: „Wie gerne würdest Du Astronaut werden?“ – Was würde sie sagen? Stellen Sie sich als nächstes vor, Sie würden sie fragen: „Wie gerne würdest Du Astronautin werden?“ – Glauben Sie, die Antwort wäre eine andere? Menschen, die sich für die Verwendung genderbewusster Sprache aussprechen, würden behaupten: Ja. Basierend auf der Annahme, dass Sprache unser Denken maßgeblich beeinflusst, vertreten sie die Ansicht, dass das sogenannte generische Maskulinum (GM) uns vor allem an Männer denken lässt. Aber was ist an dieser Behauptung eigentlich dran? Gar nichts, meinen diejenigen, die genderbewusste Sprache kritisieren. Zahlreiche experimentalpsychologische Studien konnten jedoch zeigen: Genderbewusster Sprachgebrauch macht tatsächlich einen Unterschied.

Um zu verstehen, woran sich der Streit zwischen Befürwortern und Kritikerinnen des GMs eigentlich entzündet, ist es hilfreich, einen kurzen Blick auf das deutsche Sprachsystem zu werfen. Im Deutschen ist jedem Nomen ein bestimmtes grammatisches Geschlecht (Genus) zugeordnet: Der Löffel hat ein maskulines, die Gabel hat ein feminines und das Messer hat ein neutrales Genus. Bei Objektbezeichnungen erfolgt die Zuweisung eines grammatischen Geschlechts zufällig. Für Bezeichnungen von Lebewesen passt das Genus jedoch in den meisten Fällen zum biologischen Geschlecht des zu Bezeichnenden: Das weibliche Pferd wird als die Stute bezeichnet, das männliche als der Hengst. Für Rollen- und Berufsbezeichnungen gibt es außerdem in der Regel je eine maskuline und eine feminine Form (der Astronaut, die Astronautin). Seit etwa dem 20. Jahrhundert wird der maskulinen Form von Berufs- und Rollenbezeichnungen jedoch eine doppelte Bedeutung zugeschrieben (Doleschal 2002): Es kann nicht nur spezifisch, d.h. zur Bezeichnung männlicher Personen genutzt werden, sondern auch „generisch“, d.h. um Personen zu bezeichnen, deren Geschlecht unbekannt oder für den Kontext irrelevant ist. Demnach könnte „der Astronaut“ genutzt werden, um sowohl Ihre Tochter als auch den Nachbarsjungen zu bezeichnen.

Die sogenannte generische Verwendung der maskulinen Form wird seit den 1970er Jahren jedoch stark kritisiert: Die feministische Linguistik vertritt die Annahme, dass Sprache beeinflusst, wie wir denken. Hierauf basierend wird behauptet, dass eine generische Verwendung des Maskulinums nicht möglich sei, da die maskuline Form uns automatisch vermehrt an Männer denken lasse. Um Personen zu bezeichnen, deren natürliches Geschlecht unbekannt oder irrelevant ist, wurden deshalb zahlreiche Ersatzformen vorgeschlagen: Das Binnen-I (LehrerInnen) und die Beidnennung (Lehrerinnen und Lehrer) sollen uns sowohl an Männer als auch Frauen denken lassen. Neutralformen (Lehrende, Lehrpersonen) sowie neuere Formen wie der Genderstern (Professor*in), der Genderdoppelpunkt (Professor:in) und die x-Form (Professx) sollen uns zudem auch an Menschen denken lassen, die sich nicht eindeutig als „Mann“ oder „Frau“ identifizieren.

Die Behauptung, dass das grammatische Geschlecht einer Personenbezeichnung auf unsere Vorstellungen einwirken würde, wurde in zahlreichen experimentalpsychologischen Studien getestet. Diese Studien basieren auf der Idee, dass wir Sprache dadurch verstehen, dass diese, ganz automatisch, Vorstellungen in unserem Kopf aktiviert. Eine solche Darstellung von sprachlichen Äußerungen bezeichnen wir als mentale Repräsentation. Ziel der Forschenden ist es herauszufinden, wie genau die aktivierte Vorstellung aussieht. In Experimenten lesen Versuchspersonen dazu zunächst eine sprachliche Äußerung, die eine Personenbezeichnung enthält, zum Beispiel den Satz „Ein Astronaut muss von guter Gesundheit sein.“ Danach werden sie mit neuem Input konfrontiert, zum Beispiel mit einem weiteren Wort oder Satz, mit einem Bild oder einer Stimme. Die Annahme ist, dass der neue Input automatisch mit der gebildeten mentalen Repräsentation abgeglichen wird. Schlägt dieses Abgleichen fehl, muss die mentale Repräsentation aktualisiert werden. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Ihnen wird im Anschluss an den obigen Satz der folgende Satz gezeigt: „Zum Glück war Anja schon immer sportlich.“ Wenn Sie nach dem ersten Satz an einen männlichen Raumfahrer gedacht haben, wird die mentale Repräsentation in ihrem Kopf nun automatisch aktualisiert, sodass Sie im Anschluss eher an eine weibliche Raumfahrerin, die sportlich und gesund ist, denken. Für Forschende ist nun besonders interessant, dass eine solche Aktualisierung zu einer minimalen Verzögerung im Lesefluss führt, welche sich mithilfe experimentalpsychologischer Methoden (Reaktionszeiten, Blickbewegungen, Hirnströme) messen lässt. Hieraus können die Forschenden schließlich Rückschlüsse darauf ziehen, wie die durch den ersten Satz aktivierte Vorstellung aussah (Irmen & Linner, 2005).

Basierend auf diesem theoretischen Hintergrund führten nun zum Beispiel Gygax et al. (2008) eine Fortsetzungsaufgabe durch, in der den Versuchspersonen ebenfalls Satzpaare präsentiert wurden. Im ersten Satz wurde eine Gruppe von Personen mit einer Personenbezeichnung im GM eingeführt (z. B.: Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof.) Im Anschluss wurde ein weiterer Satz gezeigt, der entweder mit „Frauen“ oder „Männer“ einen Teil der Gruppe bezeichnete (z. B.: Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen/Männer keine Jacke). Aufgabe der Teilnehmenden war es, so schnell wie möglich zu entscheiden, ob der zweite Satz eine sinnvolle Fortsetzung des ersten Satzes sei (ja/nein). Würde das GM geschlechtsneutral gelesen werden, so die Hypothese, müssten Akzeptanzraten und Reaktionszeiten für beide Fortsetzungsvarianten gleich sein, da das Verständnis des zweiten Satzes keine Aktualisierung der mentalen Repräsentation erfordern würde. Tatsächlich aber fanden die Forschenden, dass die Verwendung des sogenannten GMs im ersten Satz zu einer schlechteren und langsameren Akzeptanz von Frauen-Fortsetzungen führte, was auf eine Aktualisierung der zuerst gebildeten Repräsentationen schließen ließ. Gygax et al. (2008) folgerten daher, dass das GM uns tatsächlich vermehrt an Männer denken ließe.

Zahlreiche andere Studien führten zu vergleichbaren Ergebnissen. Weitere Studien konnten außerdem zeigen, dass wir beim Lesen von genderbewussten Formulierungen, anders als beim GM, an Männer und Frauen denken. Sato et al. (2016) untersuchten zum Beispiel welche mentalen Repräsentationen durch das GM und durch Neutralformen (die Dozierenden) aktiviert werden. Die Forschenden fanden heraus, dass Neutralformen tatsächlich ausgeglichene Vorstellungen von Männern und Frauen aktivieren. Lesen wir also zum Beispiel den Begriff „die raumfahrende Person“ denken wir eher an Männer und Frauen, als wenn wir die Begriffe „der Raumfahrer“ oder „der Astronaut“ lesen. Körner et al. (2022) untersuchten außerdem, welche mentalen Repräsentationen von der Beidnennung (Astronaut und Astronautin bzw. Astronautin und Astronaut) und vom Genderstern (Astronaut*in) aktiviert werden. Es zeigte sich, dass die Beidnennung ebenfalls sehr gut geeignet ist Frauen und Männer gleichermaßen abzubilden, der Genderstern ließ die Versuchspersonen hingegen minimal mehr an Frauen denken als an Männer. Zacharski und Ferstl (2022) fanden jedoch erste Hinweise, dass der Genderstern gut dazu geeignet ist, alle Geschlechter gleichermaßen abzubilden – sowohl Frauen und nichtbinär gelesen Personen als auch Männer. (Zacharski & Ferstl, 2022). Welche der verschiedenen neueren Sprachformen (Genderstern, Genderdoppelpunkt, etc.) besonders gut als geschlechtsneutrale Form geeignet ist, wird zurzeit von vielen Forschungsgruppen untersucht. Auf deren Ergebnisse dürfen wir gespannt sein. Eindeutig konnte durch experimentalpsychologische Studien aber bereits gezeigt werden, dass Neutralformen und Beidnennung besser geeignet sind, um uns an Frauen und Männern denken zu lassen, als das GM.

Die Ergebnisse der bisher vorgestellten experimentalpsychologischen Studien lassen bereits vermuten, dass es tatsächlich einen Einfluss auf die Antwort Ihrer Tochter haben könnte, wenn Sie sie fragen würden, ob sie Astronautin werden will. Vervecken et al. (2013) konnten dies aber sogar mit einem Experiment belegen. Die Forschenden stellten Kindern bestimmte Berufsgruppen vor, entweder unter Verwendung des GMs oder mithilfe der Beidnennung (z. B., Feuerwehrmänner/Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen sind Leute die Feuer löschen.). Anschließend wurden die Kinder gefragt, wie gerne sie den vorgestellten Beruf ausüben würden. Die Ergebnisse zeigten, dass Mädchen eher Interesse an Berufen formulierten, die in unserer Gesellschaft häufiger von Männern ausgeführt werden, wenn diese in der Beidnennung präsentiert wurden. Das heißt, war von Astronauten und Astronautinnen anstatt von Astronauten die Rede, konnten sich Mädchen eher vorstellen, zur Raumfahrt zu gehen.

Die Wahl der Sprachform hat also nicht nur einen Einfluss darauf, was wir im Hier und Jetzt denken, sondern ist viel weitreichender: Die Entscheidung gendersensibel zu schreiben und zu sprechen könnte auch langfristig zu einer Änderung von festgefahrenen Geschlechterrollen führen.

 

Literaturverzeichnis

Gygax, P., Gabriel, U., Sarrasin, O., Oakhill, J. & Garnham, A. (2008). Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men. Language and Cognitive Processes, 23(3), 464–485. https://doi.org/10.1080/01690960701702035

Irmen, L. & Linner, U. (2005). Die Repräsentation generisch maskuliner Personenbezeichnungen. Zeitschrift für Psychologie / Journal of Psychology, 213(3), 167–175. https://doi.org/10.1026/0044-3409.213.3.167

Körner, A., Abraham, B., Rummer, R. & Strack, F. (2022). Gender Representations Elicited by the Gender Star Form. Journal of Language and Social Psychology, 0261927X2210801. https://doi.org/10.1177/0261927X221080181

Sato, S., Gabriel, U. & Gygax, P. M. (2016). Altering Male-Dominant Representations. A Study on Nominalized Adjectives and Participles in First and Second Language German. Journal of Language and Social Psychology, 35(6), 667–685. https://doi.org/10.1177/0261927X15625442

Vervecken, D., Hannover, B. & Wolter, I. (2013). Changing (S)expectations: How gender fair job descriptions impact children's perceptions and interest regarding traditionally male occupations. Journal of Vocational Behavior, 82(3), 208–220. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2013.01.008

Zacharski, L. & Ferstl, E. (2022, 18. Februar). Ein Star unter gendersensiblen Formen? Der Einfluss des nichtbinären Asterisks auf gegenderte Repräsentationen von Personenreferent*innen. Albert-Ludwig-Universität Freiburg. Auftakttagung des DFG-Projekts "Genderbezogene Praktiken bei Personenreferenzen: Diskurs, Grammatik, Kognition", Freiburg. https://www.cognition.uni-freiburg.de/forschung/forschungsprojekte-1/Genderbezogene%20Praktiken

Lisa Zacharski

lisa.zacharski@cognition.uni-freiburg.de

Lisa Zacharski hat Philosophie und Biologie mit Schwerpunkt Neurowissenschaft in München, Helsinki, Oxford und Bremen studiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt "Genderbezogene Praktiken bei Personenreferenzen: Diskurs, Grammatik, Kognition" und promoviert am Center for Cognitive Science der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zum Thema „Nicht-binäre Personenbezeichnungen: Lesbarkeit und Geschlechtsassoziationen“.

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