Entscheidungen treffen unter unsicheren Bedingungen oder warum Menschen verrückte Dinge glauben

Wir sehen uns im Alltag unentwegt mit neuen Entscheidungen konfrontiert manche davon wichtiger als andere. Vor allem in unserem täglichen Leben treffen wir häufig Entscheidungen, über die wir nicht näher nachdenken – ansonsten wären wir wohl kaum dazu in der Lage, das Haus zu verlassen, geschweige denn uns mit wichtigeren Dingen auseinanderzusetzen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Autofahren: erfahrene Autofahrer:innen denken nicht mehr bewusst darüber nach, in welchen Gang sie schalten, wann sie am besten bremsen oder dass sie den Blinker setzen müssen. Eine solche intuitive Entscheidungsfähigkeit kann also sehr nützlich sein. Sie ermöglicht es, dass wir beim Autofahren Radio hören können oder darüber nachzudenken, was man später noch einkaufen muss. Der Psychologe Daniel Kahnemann1 unterscheidet dabei zwei Systeme, welche das kognitive Entscheiden bestimmen: System 1, das schnell, automatisch, ohne Anstrengung, assoziativ, implizit sowie emotional aufgeladen ist und System 2, das langsamer, mit Anstrengung, eher kontrolliert und bewusst, relativ flexibel und von Regeln bestimmt zu Überzeugungen kommt. Diese Unterscheidung wird oft herangezogen, um zu erklären, warum Menschen an scheinbar irrationale Dinge wie Verschwörungen oder Pseudowissenschaften glauben. Dabei wird angenommen, dass das erste System überhand nehmen kann und so auf assoziative und emotional geleitete Weise Zusammenhänge gesehen werden, ohne dass diese rational überprüft würden.

So nützlich intuitives und schnelles Entscheiden also sein kann, so stellt uns unsere intuitive Entscheidungsfähigkeit jedoch auch immer wieder Fallen und kann uns so dazu bringen, an irrationale Dinge zu glauben. Der US-amerikanischer Forscher Lee McIntyre beschreibt in seinem Buch „How to talk to a science denier"2, wie er eine der weltweit größten Konferenzen von Flat Earthers3 besucht und dort versucht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen um herauszufinden, warum sie so sehr davon überzeugt sind, dass die Erde flach ist. Fast alle Teilnehmer:innen berichten, sie seien auf YouTube auf ein erstes Video zum Thema gestoßen und hätten dann damit begonnen, immer mehr solche Videos zu schauen, bis sie schließlich davon überzeugt waren, dass die Erde wirklich flach sei. Doch nicht nur das, der Großteil von ihnen war ebenso davon überzeugt, dass die Regierungen der Welt zusammen mit der NASA all dies ganz bewusst verheimlichen. Für diese Menschen wurde die Überzeugung, auf einer flachen Erde zu leben, zu einem Teil ihrer sozialen Identität, sie fühlen sich einer Gruppe zugehörig und verspüren eine Aufgabe zu haben. Dadurch wird der eigentliche Inhalt dessen, was die Überzeugung ausmacht, immer weniger von Bedeutung, es geht vielmehr darum, wem geglaubt wird. Dieses Phänomen lässt sich bei vielen Anhänger:innen von Verschwörungstheorien beobachten. Zum Beispiel nehmen Menschen, die sich als QAnon-Anhänger:innen verstehen, in Kauf, dass sie ihre Anstellung, Freundschaften oder den Kontakt zur eigenen Familie verlieren.4 Das geht so weit, dass es zum Beispiel auf der Internetplattform reddit mittlerweile Selbsthilfe-Gruppen gibt, die Angehörige von QAnon-Anhänger:innen unterstützen. Generell werden Anhänger:innen von Verschwörungstheorien werden über konventionelle Medien sowie vermehrt auch über soziale Medien rekrutiert, wobei erstere tatsächlich oftmals bloß die Inhalte sozialer Medien wiedergeben.

Die Gruppierungen oder „Bewegungen“, die sich um eine einzelne oder eine Kombination solcher Ideen sammeln, weisen auch oft Parallelen zu Sekten oder Kulten auf. Amanda Montell beschreibt in ihrem Buch „Cultish“, wie solche Kulte alle ähnlichen Strategien einsetzen, um ihre Mitglieder an sich zu binden. Das umfasst mitunter eine eigene Sprache, die entsteht, indem gewohnten Worten eine andere Bedeutung verliehen wird. Strategien wie diese tragen dazu bei, die Zugehörigkeit zur Gruppe und die Abgrenzung nach außen zu verstärken. So wird im Falle von QAnon häufig von einem kommenden Sturm gesprochen oder der Symbolcode WWG1WGA5 verwendet. Außerdem machen Kulte Gebrauch sogenannter semantischer Stopper, um jedwede Kritik an ihren Ansichten abzublocken. Im Zusammenhang mit QAnon sind das Aussagen wie „Recherchier’ selbst“! oder „Vertraue auf den Plan“. Diese Strategien zielen darauf ab, Personen immer weiter in die Welt des Kultes hineinzuziehen. Das passiert oftmals sehr zielgerichtet und wird von einem Anführer, einer Anführerin oder einer kleinen Gruppe ausgenutzt, die davon finanziell, durch Macht, Einfluss oder sexuelle Gefälligkeiten profitiert. Bisher hat sich keine Einzelperson oder Gruppe dazu bekannt, der oder die namensgebende Q zu sein. Somit stellt sich die Frage, wie ein Kult ohne Anführer:in überhaupt so erfolgreich sein kann und sich Menschen trotz dieses Mangels für seine Weltsicht entscheiden. Dafür gibt es vielerlei mögliche Gründe: der Wunsch nach einfachen Erklärungen für eine komplizierte Welt, nach Zugehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl, nach Hilfe bei der Bewältigung persönlicher Krisen und diverse andere kognitive Mechanismen, die im Grunde jeden Menschen dafür anfällig machen, eine Weltsicht zu entwickeln, die mehr oder weniger weit von der allgemein akzeptierten entfernt ist. QAnon macht sich diese Bedürfnisse klug zu Nutze. So fordert Q seine Anhänger:innen auf, selbst Recherche zu betreiben und deren Annahmen so vermeintlich zu belegen, wohl wissend, dass die bei den meisten Menschen stark ausgeprägte Fähigkeit zur Mustererkennung – selbst wenn diese gar nicht da sind – und der unbändige Wunsch im Recht sein zu wollen, dazu führen, dass sich deren zu belegende Annahmen wie von Zauberhand immer wieder selbst bestätigen. Zudem ist der mit dem Gefühl, etwas selbstständig herausgefunden zu haben, verbundene Endorphin-Ausschüttung mit keinem rationalen Argument zu begegnen.6

In der Philosophie wurde die Suche, die Existenz einer Wirklichkeit beweisen zu können, schon vor längerem aufgegeben und durch die Annahme abgelöst, dass unser Gehirn, vermittelt über die Sinne, ein Modell der Wirklichkeit errechnet.7 Das Gehirn ist jedoch auch anfällig und lässt sich manchmal täuschen. Dies kann passieren, wenn Emotionen überhandnehmen und System 1 zu sehr überwiegt. Aber auch System 2 kann durch kognitive Verzerrungen getäuscht werden und intuitive Fähigkeiten können sehr nützlich sein. Daher ist niemand vor Verschwörungstheorien sicher, die Gesellschaft hat jedoch eine Verantwortung wahrzunehmen, deren Verbreitung vorzubeugen und Menschen, die beschließen diesen Bewegungen den Rücken zu kehren, aufzufangen. Grundsätzlich bleibt außerdem zu überlegen, ob es für unsere Gesellschaft allerdings nicht viel eher von Vorteil wäre, wenn wir uns endlich auf ein Modell der Wirklichkeit einigen könnten, das weder Überfälle auf Pizzaläden noch Kapitolerstürmungen hervorruft.

 

1 Daniel Kahneman: Schnelles Denken, Langsames Denken. Siedler Verlag, München, aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt, 27. Juni 2012.

2 Lee McIntyre, How to Talk to a Science Denier. Conversations with Flat Earthers, Climate Deniers, and Others Who Defy Reason, MIT Press 2021.

3 Als Flat Earthers bezeichnen sich Menschen, die der Überzeugung sind, die Erde sei flach. Auch diese Gruppierung hat im Detail unterschiedliche Ausprägungen und weist Überschneidungen mit Verschwörungstheorien auf. Bei Interesse ist die Dokumentation Unter dem Tellerrand, Netflix 2018, zu empfehlen.

4 QAnon ist eine Verschwörungstheorie, die im Internet auf dem Message Board 4chan entstanden ist. Eine Gruppe anonymer Poster:innen, die sich selbst als „Q Clearance Patriot“ bezeichnen und einen hohen militärischen Rang im US amerikanischen Geheimdienst einnehmen soll, posten kryptische Nachrichten auf Message-Boards, die dann von anderen Nutzer:innen interpretiert werden sollen. Dabei wollen sie aufmerksam machen auf einen Kampf zwischen Gut und Böse, der bald enden wird, um wirkliche Freiheit zu ermöglichen. Grundlegend ist es schwierig, QAnon auf eine Theorie zusammen zu fassen, da es viele Formen, Mythologien und Spekulationen gibt, die sich rund um Q und deren Anhänger:innen sammeln.

5„Where we go one, we go all” ist ein weit verbreitetes Erkennungsmerkmal von QAnon-Anhänger:innen.

6 Für einen sehr spannenden Überblick, warum QAnon auch als Life-Action-Role-Play gesehen werden kann, siehe diesen Artikel von Reed Berkowitz auf Medium.

7 Siehe dazu Karl Hepfer: Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Transcript Verlag 2021.

Rita Gsenger

Weizenbaum Institute for the Networked Society

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